Montag, 7. Januar 2013

Von Naia

Von Naia



Hallo erst Mal. 
Ich bin Naia. Meinen Namen habe ich von meiner Mama, obwohl ich sie nur zehn Minuten meines ganzen Lebens sah. Schon seit  zwei  Jahren vermisse ich sie schrecklich. Ich bin noch ein Rind und würde sie schrecklich gerne wieder sehen. Eines schönen Tages habe ich dann erfahren, dass ich meine so geliebte Mama wohl nie wieder sehen würde, denn die Ella, die hübsche Kuh aus der Nachbargruppe, hat mir verraten, dass meine Mama gestorben sei, bzw. geschlachtet worden war. Ich hatte mir doch so viele Male vorgestellt, wie ich mit meiner wunderschönen Mama Resa über die saftig grünen Wiesen rennen würde und mich auf der Erde wälzen würde, mit ihr in den strahlend blauen Himmel blicken und glücklich sein würde. Aber das war nur ein Traum, der eigentlich schon ab dem Moment, an dem ich von Resa getrennt wurde, aus geträumt war.
Bald ist es so weit! Ich bin jetzt 24 Monate alt, also zwei Jahre und werde bald ein gesundes Kalb zur Welt bringen. Mein Kalb ist stark und hat Lebenswillen, ich spüre es. Manchmal fühle ich, wie es sich in mir bewegt. Das erfreut mich. Nachts male ich in meinen Träumen mir aus, was für eine  tolle Mama ich sein werden möchte. Ich will immer für mein Kalb da sein, ja, das hab ich mir ziemlich fest vorgenommen. Ich werde für immer bei der kleinen Tinker bleiben. Tinker wird sie heißen, denn ich bin fest überzeugt dass es ein kleines Mädchen wird. Ich freue mich schon, ihre ersten Schritte sehen zu dürfen, ihr zu helfen und sie nach der Geburt sauber zu lecken, auch, wenn ich schwach und erschöpft sein werde. Ella aus der Nachbargruppe hat mir außerdem verraten, dass sie schreckliche Angst vor dem Kalben hat. Weil doch die Schmerzen so groß sind. Ella hatte Zwillinge, Nepumuk und Casper, also war alles auch noch doppelt so schlimm, die Arme. Ich habe auch Angst, manchmal, in der Nacht, da habe ich Angst, ob mein Euter auch wirklich genug Milch für meine kleine  Tinker hergeben wird, es ist doch so klein. Jetzt ist es noch nicht mit Milch gefüllt, was, wenn ich sie etwa nicht versorgen kann? Ella aus der Nachbargruppe sagt dann, ich solle mir wohl keine Sorgen machen, das schade dem Kalb und außerdem wird schon alles gut werden. Ich hoffe es.
Drei Monate später
Endlich habe ich mein Kalb zur Welt gebracht. Es ist schwarz-bunt und es ist ein Mädchen. Aber ich bin nicht enttäuscht, dass es nicht mehr bei mir ist,  im Gegenteil, ich freue mich wahnsinnig dass es lebt und gesund ist. Ich bin eine sehr stolze Mama, auch, wenn Tinker nicht bei mir ist. Sie ist mir direkt weg genommen worden. Das werde ich dem Bauer so schnell nicht mehr verzeihen! Sie ist mein Fleisch und Blut und immerhin bin ich der Grund, wieso es sie überhaupt gibt! Ich habe schrecklich geweint, und als ich den Bauer getreten habe, weil er Tinker  an den Beinen hochzog und 1 ½ Meter in eine harte Kiste fallen ließ, hat er mich zurück getreten. Er hat mir mit solcher Wucht gegen das Schienbein meines linken  Vorderbeins getreten, dass ich dort jetzt einen blauen Fleck habe und jeder Schritt weh tut. Hätte ich nicht um mein kleines Kalb getrauert, hätte ich ihn kaltblütig umgerannt. Hätte so lange drauf getreten, bis er sich nicht mehr bewegt hätte. Aber das habe ich nicht, ich bin ja eine gehorsame Kuh, nur eine Kuh, mehr nicht, nichts Besseres wie die Menschen. Ich gehe ein Bisschen lahm, weil es doch ganz schön weh tut, und als der Bauer mich in den Klauen Stand getrieben hat, und nichts an meinen Klauen feststellen konnte, was darauf hinwies, wieso ich lahm ging, dachte ich nur „Idiot“. Ich habe akzeptiert, dass meine kleine Tinker weg ist und wahrscheinlich irgendwann in unseren Stall kommen wird, und wenn nicht, werde ich noch ein Kalb bekommen, und noch eins, und noch viele mehr, aber, ich habe wohl auch keine andere Wahl. Und wo wir dabei sind, das Schlechte anzusprechen, das jetzt, 27 Monate nach meiner Geburt, immer mehr zunimmt, habe ich ja wohl auch das Recht, mal zu erwähnen, dass ich bis jetzt noch nie eine saftig grüne Wiese gesehen habe und mich noch nie im frischen Graß, nass von der Nacht, wälzen konnte, den Himmel sehe ich nur durch kleine Fenster, aber meist ist er grau. Manchmal scheint die Sonne, und dann wünsche ich mir mehr als alles Andere dieser Welt, raus zu können. Frei zu sein und atmen zu können, den Wind zu spüren, den Waldboden unter meinen guten Klauen. Aber das ist eben nur ein Wunsch. Und ich bin nur eine Kuh, die eigentlich wissen sollte, dass Kühe keine Anforderungen stellen dürfen. Eben nur eine Kuh.  Ella ist nun in meiner Gruppe- oder ich in ihrer. Jetzt gebe ich viel Milch und sie auch. Sie hat erst vor kurzer Zeit gekalbt. Mein Euter ist prächtig, er ist klein und fest, und stört mich nicht beim gehen, so wie die Älteren, deren Zitzen fast den Boden berühren. Einmal ist die alte Wiki sich mal auf das Euter getreten- autsch. Ich hoffe mein Euter bleibt, wie es nun ist. Es gefällt mir doch, und genügend Milch ist aus drin, obwohl ich Tinker ja gar nicht füttern muss. Stattdessen werden merkwürdige Metallbecher an mein Euter gehangen, die die Milch saugen. Das ist angenehm, weil der Druck im Euter geringer wird. Aber manchmal ist der Bauer zu grob mit meinem Euter, dann zieht es und ich hebe das Bein. Wenn diese komischen Milchbecher darum abfallen, wird er ziemlich böse. Einmal ist es mir viermal abgehangen, weil diese blöde Schnur, die die Milchbecher hält, die ganze Zeit mein Bein gekitzelt hat. Dann hat er so ein rostiges Ding geholt und es mir um meinen Knochen und die Leiste geklemmt, so, dass ich mein Bein nicht mehr heben konnte. Das war wirklich nicht schön. Ella kommt nicht von hier, also, sie ist nicht hier geboren worden. Sie wurde im Kuhparadies zur Welt gebracht, so scheint es, wenn sie mir manchmal davon erzählt. Da, wo sie herkommt, muss es wunderschön gewesen sein. Wenn ich ihr in die Augen sehe, dann ist da so Etwas. Als ob sie ihre Heimat vermissen würde. Ella durfte vier Monate  bei ihrer Mama bleiben und an ihrem Euter trinken, was ein Glück. Sie liebt ihre Mama sehr, und sie heißt Amelie. Dort wurde sie täglich von einer netten Frau besucht, die sich versicherte, dass es ihr gut geht, und sie dann noch eine Weile behutsam streichelte.  Die Frau erzählte ihr Etwas und dann schlief Ella. Schlief und schlief, und wachte schließlich hier, in unserem Stall, auf. Hier gefällt es Ella auch. Sie gibt sich mit dem Wenigsten zufrieden, obwohl hier auch manches zuvorkommend ist. Das Melken ist meist angenehm und wir dürfen liegen wann wir wollen, außerdem gibt es ziemlich gutes Futter, das genau abgestimmt ist, auf das, was wir brauchen, hat Ella erzählt. Manchmal mag ich den Bauern. Er ist manchmal gut gelaunt und wünscht uns sogar eine gute Nacht. Aber manchmal ist er böse. Ich verstehe nicht, was wir falsch machen, aber wir sind alle bemüht unser Bestes zu geben, jeder Zeit. Wenn er dann wirklich, wirklich, wirklich wütend wird, dann schlägt er uns. Das gefällt uns nicht und oft Tage später sind wir noch beleidigt! Bei so einem Verhalten kann einem ja die Milch im Euter sauer werden! Ich kann vieles dulden, mache bis jetzt nur das, was man mir sagt, lebe den Tag, wie er mir vorgelebt wird und fresse, war mir vorgesetzt wird, auch, wenn ich sicher bin, dass das Gras drüben auf der Wiese viel besser schmeckt. Aber an diesen Tagen voller Wut und schlechter Laune schmeckt selbst das beste Futter zum kotzen und das melken macht auch keinen Spaß. An solchen Tagen hasse ich es, eine Kuh zu sein. Ich hasse es wirklich. Dann hören wir uns von morgens bis abends immer weiter in Endlosschleife die Flüche und Beleidigungen unseres Bauers an. Rauf und Runter, Wörter, wie wir nicht mal kennen, obwohl wir Kühe auch gut fluchen können. Am allerliebsten schreit er „Leck mich doch am Arsch“, und jeden Tag zehnmal hört sich das echt nervend an. Aber irgendwo hört es dann auch bei mir auf! Würde er mich schlagen, aus Wut, so hilflos und verzweifelt, würde ich mich wehren. Ich könnte seinem Leben genauso schnell ein Ende setzten, wie er es mit den anderen Kälbern macht, die, die nicht mehr zurück in den Stall kommen. Wären sich die Kühe ihrer ganzen Kraft bewusst, gäbe es unseren Bauern nicht mehr. Als hätte er eine Chance, wenn eine Kuh auf ihn los ginge! Pf! Niemals! Aber die Kühe haben Angst vor ihm, sie denken er ist mächtiger, aber das ist er nicht. Hilflos ist er, verzweifelt und müde vom vielen Arbeiten. Und wenn er auf das Alles keine Lust mehr hat, mein Gott, dann soll er uns alle verkaufen und schlachten lassen und sich was Besseres suchen, als mit uns Tag für Tag verbringen zu müssen und sich dieses bereuen ersparen, das wäre uns lieber als dieses ewige hin und her. Ich würde ihm weh tun, sicher, was bleibt mir anderes übrig? Ich würde ihn mir schnappen und an den Füßen hochziehen, so, wie er es mit meiner Tinker gemacht hat, und ihn einmal in die Wassertränke tauchen. Damit er mal zum durchatmen kommt. Und Luft nimmt, und die Wut herunterschluckt. Und nie wieder eine Kuh anrührt. Nicht einfach so. Nicht aus Wut. Schlagen und schlagen ist ein Unterschied. Man beweist wahrlich große Stärke, wenn man sich beherrschen kann. Grade vor uns Kühen, wir sind doch so sensibel. Gewalt macht einen wahren Menschen nicht aus, einen wahren Mann ebenso wenig. Man kann uns treiben, ich gebe zu, die Älteren sind lahm und wollen nicht gehen, indem man mit einem Gummischlauch auf unsere Hinterteile schlägt. Sanft, mit Geduld, ohne Zeitdruck und Hektik. Ohne Wut. Doch es ist Etwas ganz anderes, wenn wir aus einfacher Wut verprügelt werden, er mit der Gabel weit ausholt und schlägt, immer wieder, immer weiter, und noch einmal! Ach komm schon, schlag noch mal! Nimm doch bitte noch mal die Gabel! Nein, noch besser, nimm direkt diesen scheiß Viehtreiber, den du so gerne hast! Na komm schon, kleiner armer Mensch, schlag noch mal drauf, bitte, bis es blutet! Bis ich für immer verängstigt und scheu bin! Bitte, steche mir mit der Gabel ins Gesicht, triff doch bitte mal mein Auge! Oh, jetzt hast du Tränen in den Augen? DU weinst?! DU!?! Ich sollte weinen! Denn es ist grausam, was hier manches Mal passiert! Es ist verdammt noch mal unfair! Oh! Jetzt machst du dir Vorwürfe "Hätte ich doch nur...". JA! Richtig so! Weiter so! Du solltest jetzt in einen Spiegel sehen, aber sag mir: Was siehst du? Einen Mensch? Oder einen Mörder? Weil du mit jedem Schlag die Seele einer Kuh mehr und mehr tötest. Weil Kühe Gefühle haben. Ein Herz. Eine Seele. Weil sie trauern und in Trauer versinken. Weil sie wütend sein können und nicht wissen wohin mit ihrer Wut. Weil sie verdammt nochmal Lebewesen sind! Wie Du!  MERKST DU NOCH WAS?! Manchmal, so denke ich, sehe ich den Hass in seinen Augen, aber dann denke ich nur „Armer Idiot, er kann doch nichts dafür, er ist doch nur ein Mensch.“
In den Boxen ist es ganz schön eng. Oft komme ich gar nicht hoch beim ersten Versuch. Dann frage ich mich, wie dass die großen und ungelenken, alten Kühe machen, mit ihren schweren und müden Knochen, wenn ich mich manchmal bereits wie 80 fühle. Kuh sein ist anstrengend. Das gute Futter, welches mir auch wirklich schmeckt, treibt uns dazu, viel Milch zu produzieren. Immerhin müssen 500 Liter Blut durch mein Euter fließen, damit ich einen Liter Milch produziere. Und ich produziere weit mehr als einen Liter Milch am Tag. Also gefällt es mir auch am besten, wenn ich den ganzen Tag auf einer Wiese im Sonnenschein liegen könnte und mich entspannen könnte.
Aber das ist auch nur ein Wunsch. Und Kühe haben nicht zu wünschen.
Ein paar weitere Jahre auf diesem Hof, in denen ich immer ruhig und treu ergeben war, halfen mir dennoch nicht, vor dem Tod zu entkommen.  Am 3.März wurde ich in einen Hänger verladen. Es roch nach Tod, es war schrecklich. Ich hatte Angst. Es war eng und stickig. Als ich im Schlachthof ankam, war der Gestank unerträglich. Meine Augen mussten weit geöffnet sein, sie taten schrecklich weh. Langsam sammelte sich Wasser in meinem Auge, erst im linken, dann auch im rechten. Bald bildeten sich kleine Tränenströme über meinen Wangen. Hatte ich das verdient? Habe ich nicht Jahre lang täglich meine Milch gegeben? Und gesunde Kälber zur Welt gebracht, sie artig gehen lassen? Ich guckte mich verängstigt um. Ich schwitzte sehr, mir war heiß und kalt zu gleich. Die lange Fahrt hier hin war die Hölle, ich bin zwar nur eine Kuh, und wahrscheinlich nicht die schlauste, aber, so, wie in diesem engen, stickigen Hänger, so, nur so muss die Hölle sein. Ich sah mich um. Ich wurde in eine Box getrieben, mit vielen anderen Kühen, die Todesangst hatten, wie ich. Ganz am Ende der Box verlief sie so eng zu, dass nur eine von uns durch passte. Eine braune Kuh mit vielen Flecken und einem schmalen Kopf zwang sich hindurch. Mein ganzer Körper zitterte und mein Herz bebte, als ich den Schuss vernahm, der dieser Kuh gerade durchs Gehirn jagte. Als Nächste war ich an der Reihe. Als ich ankam, stand ein Mann, schätzungsweise Mitte 40, auf einem Podest und fixierte meinen Kopf. Da habe ich aufgehört mich zu wehren. Er lud das Gewehr und stellte noch einmal sicher, dass mein Kopf fest fixiert war.
Dann setzte der Mann das Bolzenschussgerät an meinen Kopf und drückte ab.
Und der letzte Gedanke der mir durch den Kopf ging war „Armer Idiot, er kann doch nichts dafür, er ist doch nur ein Mensch“
Dann schloss ich die Augen und um mich herum wurde es ganz still, das erste Mal, seit ich lebe, wirklich still.

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