Sonntag, 15. September 2013

Gesehen werden

Entblößt steh ich vor dir. Unsere Blicke treffen sich. Kein Tuch, kein Stoff verbirgt mich mehr. Du siehst mich an, ganz so wie ich bin. Mit Ecken und Kanten und Narben. Ich bewege mich langsam um dich herum. So viel Wahrheit um dich. Beängstigend, nicht wahr? Du sieht mein Herz, siehst es pulsier'n in meiner Brust.
Es schlägt voll Reinheit und Ehrlichkeit. Du verziehst dein Gesicht, als du die Unebenheit meines Herzens bemerkst. An manchen Stellen fehlen Stücke meines Herzens, das sind solche, wo ich Anderen einen Teil meines Herzens gab und nie Etwas zurück bekam. An manchen Stellen sind unpassende Stücke eingesetzt, das sind diese, wo ich Anderen Teile meines Herzens gab und ein Stück von ihnen zurück bekam, nicht immer eins zu eins passend. Die Narben stehen für den durchlebten Schmerz und jede Enttäuschung, jeder Rückschlag im Leben. Ich behaupte, mein Herz ist schön, denn es erzählt die Geschichte eines Menschen, wie er ist, wie er war, vielleicht, was er irgendwann sein wird. Warum kannst du die Wahrheit nicht sehen? Warum willst du sie nicht sehen? Vermagst du nicht, es zu sehen wie es ist? Es mag hart erscheinen, zu sehen was ein Mensch von sich gab und was er nie zurück bekam, und welche Narben jemanden zieren. Aber es ist die Wahrheit. Wenn du mich nicht sehen kannst, ganz so wie ich bin, was soll das dann mit uns? Ich steh nackt vor dir und ich zeig dir wer ich bin, warum siehst du einfach weg? Bist auch du einer derer, die nie zurück gaben? Ich empfinde keinen Scham für das was ich bin und wer ich bin. Ich bin ich, in jeder Faser ich.
Werde ich von dir gesehen?
Zur Welt kamen wir alle ganz nackt, ohne jegliche Lüge, Intrige, ohne böse Absicht. Die Zeit und die Welt und vor Allem wir selbst machen uns zu dem was wir sind. Umhüllt von Mauern die uns schützen sollen, doch was nützt diese Mauer? Sie wird alt und brüchig und du wirst sie andauernd erneuern müssen, andauernd eine neue Lüge, um sie auf Dauer standhaft zu machen. Du lügst dich selbst an und hast noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Aber warum kannst du nicht wenigstens meiner Ehrlichkeit stand halten? Bist du SO schwach? Das ist enttäuschend! Die Realität mag hart sein, sie mag manchmal schmerzhaft zu erkennen geben was wir nicht sehen wollen, doch es ist das einzige was zählt, denn alles Andere ist Einbildung und Lüge.
Wenn du mich also nicht sehen kannst, wie ich bin, ganz entblößt, nackt, ohne jegliche Umhüllung- wie sollst du das ertragen, mich alle Tage zu seh'n, ohne es einmal zu wagen, in meine Seele zu sehn?


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