Paula und Ich- Unsere Geschichte.
Wann genau alles anfing, weiß ich gar nicht mehr. Es war wohl das Jahr
2011 und es war Sommer. Ein Tag wie jeder andere, doch hätte ich
gewusst, dass dieser Tag mein Leben verändern würde, hätte ich ihn wohl
besser in Erinnerung gehalten. Die Sonne schien, es war warm. Ich ging
durch den Stall, einfach so, ohne Bedeutung oder ein Vorhaben. Ich
lehnte mich erschöpft von der Hitze an das Gitter, das die Kühe vom
Futtergang trennte. Was in den darauf folgenden Minuten geschah, sollte
mein Leben massiv verändern- positiv wie negativ. Denn dann, trat sie in
mein Leben. Nummer 92. Erschrocken fuhr ich herum, denn „jemand“
stupste mich energisch von hinten an. Dann sah ich zum ersten Mal in
ihre wunderschönen glasklaren Augen. Ich blickte ihr geradeaus ins
Gesicht. Sekunden später, war es auch schon geschehen. Völlig fasziniert
hatte sie mich in ihren Bann gezogen. Sie ließ sich, zu meiner
Verwunderung, als eine der ganz wenigen in diesem 170- Kuh Betrieb
streicheln. Ohne Scheu und ohne Zweifel kuschelte sie sich an meine
Hände, ließ sich ausgiebig streicheln und leckte mit ihrer rauen Zunge
an meinen Händen. Wie sie mich ansah. Ihr trauriger, leerer Blick. Doch
da war dieser Funke Hoffnung. Hätte ich gewusst, dass dieser Funke
einige Monate später ersticken sollte, so hätte ich mich wohl anders
verhalten. Die Wärme, die sie ausstrahlte, zog mich an. Ich konnte nicht
anders, ich speicherte ihre Ohrmarken- Nummer in meinem Handy. Wenige
Wochen später, hatte ich gemerkt, dass es nicht notwendig war die Nummer
im Handy zu speicher, denn ich bekam sie nicht mehr aus dem Kopf.
Während sie sich zufrieden ihrem Futter zuwendete, ging ich. Als ich
ungefähr am Ende des Stalles war drehte ich mich noch einmal um, zu
meiner Verwunderung sah sie mich an. Sie sah mir nach. Ein völlig
fremdes Gefühl beschlich mich. Es war neu und ich musste wissen was es
war.
Nur ein paar Tage nach meiner „Entdeckung“ sollte dann schon der erste
Niederschlag über mich kommen. Der Besitzer von „Nummer 92“ sagte mir,
dass diese Kuh nicht mehr tragend wird, dass hieß, dass sie in
absehbarer Zeit nicht genügend Milch produzieren würde, denn sie bekam
kein Kalb mehr. Doch dies würde sich noch heraus stellen. Die Chancen,
dass sie tragend war, waren gering, aber ich habe jede einzelne Sekunde
geglaubt, dass es doch ein gutes Ende nehmen würde. Denn, sie war mir
wichtig geworden. Nun, einige Wochen später, war der Gang in den Stall,
immer mit einem Besuch bei Nummer 92 verbunden. Ich hatte den Eindruck,
sie wartete, und sie kam auch immer ans Gitter wenn sie mich sah oder
hörte. Nummer 92, die inzwischen Paula hieß, war ein großer Teil meines
Lebens geworden. Die Besuche bei ihr wurden länger und schöner. Es
entwickelte sich sowas zwischen uns. Und das Gefühl, welches mir so
fremd war, wurde stärker. Später war mir klar, was das Gefühl bedeutete
und inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Liebe. Es war
bedingungslose, unwiderrufliche Liebe. Hätte ich gewusst, dass Liebe als
eine rundliche, gewöhnliche Milchkuh auf mich zu käme, hätte ich mich
für verrückt erklärt. Und ich spürte, ich wollte sie nie wieder
loslassen. Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Michkontrolle zu
Michkontrolle mischte sich da noch ein anderes Gefühl mit. Es war
Trauer, denn inzwischen hatte ich mich darauf vorbereiten müssen, das
meine allerliebste Paula, irgendwann von mir gehen würde, und wann
irgendwann wäre, könnte mir wohl niemand sagen, aber ich wusste, rein
theoretisch könnte ich jeden Morgen aufwachen, und es würde mir die
Nachricht überbracht werden können, Paula würde gehen. Trotzdem war die
Zeit die ich mit meiner geliebten Kuh verbrachte, nicht umsonst. Ich
habe doch so viel gelernt. Sie hat mir so viel erzählt. All die Trauer
in ihrem kleinen Herzen, und nicht selten weinte ich mit ihr, und um
sie. Unweigerlich musste ich mich mit dem Tod auseinandersetzen. Denn
würde sie einmal gehen, würde sie nicht wieder kommen, und dies war mir
vom ersten Tag an bewusst.
Ich habe einen anderen Blickwinkel auf diese Nutztiere bekommen. Dank
Paula ging ich nicht mehr in den Stall und sah die Kühe fröhlich ihr
Futter verzehren und wie sie doch glücklich waren leben zu dürfen. Nein,
mir wurde klar, dass dies kein Leben war. Dennoch fand ich dort nicht
alles schlecht, nein vieles überzeugte mich und manche Dinge konnte ich
nachvollziehen. Die erste Zeit, hasste ich alle Menschen, die den Tieren
ihr Leben raubten, die sie zwangen Milch zu produzieren und die die
Mütter von den Kälbern trennten, und Schlachter erst recht. Doch je mehr
ich mich damit auseinandergesetzt habe, verstand ich. Für Paula. Die
Dinge sind so und werden immer so bleiben, niemand kann und wird etwas
daran ändern können. Es ist doch gut. Paula würde zum Schlachter gehen.
Natürlich hätte ich alles dafür getan, dass dies verhindert wird. Doch
mir wurde klar, dass ging nicht. Wenn jeder eine Kuh, die keinen Nutzen
für die Menschen mehr macht, verschonen möchte, würde dies vorne und
hinten nicht funktionieren. Wer bezahlt denn das Futter für die Kuh, die
Tierarztkosten? Niemand. Wer isst denn diese Lebewesen und deren
Produkte? Wir alle. Wir essen das Fleisch, trinken die Milch, essen
Butter Käse und alles was Kühe herstellen. Niemand würde wohl auf alles
Tierische verzichten wollen. Und alles dies, erzählte ich Paula.
Schritt für Schritt. Und ich glaube, mit der Zeit hat sie auch
verstanden, dass es ihre Bestimmung ist, zu gehen. Für die Menschen. Und
das sie dies verstehen musste, brach mir fast das Herz. Viele Tränen
flossen. Ich bin sicher, sie hat auch geweint. Innerlich.
An einem Tag, verregnet und eigentlich hatte ich miese Laune, erfuhr ich
dann endgültig das Paula wohl gehen würde. Eigentlich machte es nicht
viel mit mir. Nur dieses eine Wort machte mich wahnsinnig wütend: Weg.
Es hieß, sie ginge weg. Man kann es sich auch schön reden, keine Frage.
Doch sie ging nicht nur weg, nein, sie würde geschlachtet werden. Dann
ging ich zu ihr. Ich musste mich wirklich beherrschen, um nicht gleich
voll loszuheulen. Ich zitterte am ganzen Körper. Jede Faser meines
Körpers war angespannt, dies führte dazu, dass ich mich zu Tode
erschrak, als Paula sich von mir abwand. Ich konnte die Welt nicht
verstehen, Paula, meine liebste, allerliebste Kuh, sah mich nicht mehr
an. Und das schlimmste war, ich konnte sie verstehen. Denn sie wusste,
warum ich an diesem Tag so angespannt und „anders“ zu ihr kam. Sie
wusste es direkt. Ich würde nicht mehr schlafen können, wenn ich wüsste,
bald müsste ich sterben. So früh und völlig unschuldig. Sie würde in
den Tod fahren müssen. In einem engen Hänger, und sie würde Angst haben.
Was kommt nach dem Tod? Ist sterben leicht, friedlich? Ich rannte aus
dem Stall. Ich konnte das nicht sehen, diese Traurigkeit. Sie würde mir
nie wieder verzeihen, da war ich mir so sicher. Und doch, als ich das
nächste Mal in den Stall kam, wartete sie bereits. Ich sah es ihr an,
sie wollte reden. Ich setzte mich zu ihr neben sie in eine Liege Box.
Sie hat mir einfach ihr ganzes Herz ausgeschüttet. Sie musste nichts
sagen. Ein paar Gesten, wenige Blicke, das genügte. Dann legte sie
ihren Kopf in meine Hände. Ein Geschenk. Ihr Vertrauen. Dann sah ich
sie. Den schwarzen Kopf, mit dem weißen großen Dreieck mitten darauf.
Die langen Haare, die ihre Stirn bedeckten, die flauschigen Ohren und
die nasse, gräuliche Nase. Und ich wusste, ich würde sie aus ganzem
Herzen vermissen. Jeden Augenblick mit ihr wollte ich nicht mehr missen
wollen, doch es ging nicht anders. Ich glaub es war jetzt leichter für
sie. Ich wusste wie sie sich fühlt, was sie durchmacht, auch wenn ich es
nicht im Geringsten nachempfinden konnte. Ich ging, die nächsten zwei
Wochen waren eine Qual. Denn sie würde gehen. Für immer. Was so
wunderschön begonnen hatte, würde grausam enden. Doch es gab keine Wahl,
es war von Anfang an so bestimmt gewesen. Der Tag kam, ich musste mich
verabschieden. Die letzte Berührung, der letzte Blick, der letzte
gemeinsame Moment. All die schönen Momente gingen mir noch einmal durch
den Kopf.
Ja! Es hatte sich alles gelohnt! Jede
verdammte Sekunde, die ich bei ihr war, war lebenswert und jeder noch so
graue Tag hatte seinen Grund. Alles was sie mir gegeben hat war ehrlich
und alles was ich ihr versucht habe zu geben, war Verständnis, Liebe,
Schutz und ein offenes Ohr, eine Schulter zum anlehnen und vielleicht
einen Sinn im Leben. Und nun war der Tag da, Lebe wohl zu sagen, für
immer. Alles andere als leicht. Doch ich war vorbereitet, sie auch. Wir
haben es gewusst. Und darum habe ich auch nicht geweint. Ich habe nicht
um die Zeit geweint, sondern gelächelt, weil die Zeit so wunderschön
war.
Dann warst du auf einmal weg. Der Stall, so leer, so leblos, kein Grund
ihn zu betreten. Er war grau und alles war so unwirklich. Grade warst du
noch da, und jetzt, jetzt bist du bei den Engeln. Sitzt auf einer rosa
Wolke und siehst herab
auf uns, auf uns Menschen und Tiere. Und sicher siehst du auch mich,
und sicher auch die Träne die ich um dich und um uns weine. Ich vermisse
dich. Unsere gemeinsamen Stunden. Ich frage mich, ob es dir gut geht.
Aber eigentlich kenne ich die Antwort. Du gibst dich doch mit so wenig
zufrieden. Wie ist sterben? Ist sterben friedlich, ist sterben leicht?
Nun sitze ich alleine hier, in der Welt, im Chaos. Frage mich wo du
bist. Ich brauche dich. Du hast mir alles bedeutet. Paula, du bist das
Beste was mir je passiert ist. Jetzt sehe ich in den Himmel, bei Nacht,
und ich sehe deinen Stern, der mir den Weg zeigt und mir in dunklen
Zeiten leuchtet. Ich danke dir. Weil du mir gezeigt hast, wie wertvoll
das Leben ist. Ich werde dich niemals vergessen.
R.I.P. Paula
Rest in Peace, Paula!
Du bist meine Prinzessin Paula, warst es immer und wirst es immer sein!