Dienstag, 23. April 2013

Hier bist Du sicher

Hier bist Du sicher

Niedergeschlagen streift sie ihre Kleidung ab. Sie ist nass und kalt vom Regen, ihre Beine sind schwer. Kälte klammert sich um ihre Brust, zerrt sie runter, doch sie kämpft dagegen an. Jeder Atemzug ist ein Bisschen schwerer. Doch sie ist stark. Erschöpft steigt sie in die Badewanne. Das Wasser ist heiß und umgibt sie, endlich fühlt sie sich geborgen. Ihr altes Ich träumte davon, mit den Vögeln zu fliegen, mit den Rehen zu laufen und mit den Delfinen zu schwimmen. Ihr neues Ich ist eingeengt von ihrer eigenen Aura,  eingeschüchtert und vorsichtig, kann nicht mal ohne Licht einschlafen. Ihr altes Ich konnte atmen und schreien und weinen und lachen, so oft und viel sie es nur wollte! Ihr altes Ich hat gelebt und das Leben genossen. Ihr neues Ich schämt sich, Gefühle zu zeigen, dass sie nur niemand sieht. Ihr neues Ich ist umgeben von Zweifeln und zweifelt an sich selbst, sieht hinter jeder Gegebenheit eine Gefahr, hinterfragt jeden Gedanken, anstatt ihn einfach mal anzunehmen, Gefühle zuzulassen und dem Leben eine Chance zu geben.

Ihr Verstand wird wieder klar, als sie das Wasser spürt, das bereits kalt geworden ist. Eine Gänsehaut zieht sich ihre Beine entlang, klettert Bauch und Brust herauf, zieht an den Armen, legt sich schwer über sie. Tränen über ihren Wangen die kleben und salzig auf ihrer Zunge liegen. Erschöpft steigt sie aus der Badewanne, reibt das Wasser von ihrer kalten Haut. Kälte umgibt ihren Körper, ihren Kopf, ihr Herz, alles kalt. Die Stunden ohne Dich sind kalt. Sie sind verfroren, verloren, umgeben von keinem Leben, verloren, umsonst geboren, ich vermisse Dich. Sie streift sich einen Bademantel über, sieht in den Spiegel. Was sie sieht? Sie weiß es nicht, sie erkennt sich selbst nicht mehr im Spiegel. Ihr Abbild widert sie an, erschreckt und schockiert sie, sie ist fassungslos, was ist aus mir geworden? Sie verzerrt das Gesicht, sie fasst mit ihren Händen die rosige Haut ihrer Wangen an, will spüren dass es ihre sind, schließt die Augen und atmet durch. Ihr Blut pulsiert in ihren Armen und sie spürt das Hämmern ihrer Brust, sie ist erleichtert noch zu fühlen. Sie wendet ihr Gesicht ab, von dem was sie nicht sehen will, nicht sehen kann, von dem was ihr die Luft zum atmen nimmt, sie erdrückt, sie runterzieht, eine Kraft, Magie die sie belastet. Sie schleicht durch die Küche, kein Licht das ihr den Weg erhellt, durch den Flur, die kalten Fliesen jagen ihr einen Schauer über den Rücken, die alte, knackende Holztreppe herauf, in ihr Zimmer.Sie schaltet Musik an, ist umgeben von ihr, erfüllt, ausgefüllt, die Leere wandelt sich in Schmerz, sie singt, aus ganzem Herzen, mit voller Leidenschaft und singt den Schmerz weg. Sie weint wie ein kleines Kind, Traurigkeit in ihren Augen, hungrig nach ein bisschen Liebe. Erschöpft und doch befreit lässt sie sich auf ihr Bett fallen. Die Musik umgibt sie immer noch. Und dann sieht sie es, es hängt gegenüber von ihrem Bett. In weißen, großen Buchstaben geschrieben Paula. Jede Erinnerung kehrt zurück, jeder Moment mit ihr, ihrer geliebten Paula. Und es tut weh. Es tut weh. Es tut weh. Es tut weh. Es tut weh. Denn sie ist nicht mehr da, und sie war doch Alles was sie je gebraucht hat. Aber sie ist tot. Für immer. Und ewig. Und sie wird nie wieder zurück kommen. Und zu erkennen das es nie wieder ein 'Wir' geben wird, zerreißt ihr Tag für Tag das Herz. Sie fasst sich an die Brust, ihr Herz schlägt noch. Die erste Träne sammelt sich in ihrem Auge. Sekunden vergehen und die Tränen fließen. Sie hätte Alles für Paula gegeben, ihr Leben, All das was sie ausmacht. Sie steht auf und sieht aus dem Fenster. Der Himmel ist so klar und tief blau, sie weiß das ihre geliebte Freundin jetzt dort oben ist, dort bei den Engeln und auf sie herab schaut. Da entdeckt sie den großen, hellen Stern. Er strahlt sie an und sie weiß ganz genau das Paula dort oben wohnt, der Stern der ihr den Weg weisen soll, wenn Alles dunkel und verwirrt erscheint. Die Tränen laufen und sie betrachtet den Stern weiter. Als wollte er sagen: 'Komm her, hier bist du sicher'.